Monatliches Runenritual

Bei jedem Mondwechsel halte ich am Abend des Neumondtages ein kleines Ritual ab, um die Runen für den kommenden Zyklus zu ziehen und meine neun Loshölzer zu werfen. Freilich ist das rein symbolisch und allenfalls ein wenig Folklore. Man kann es getrost Denkanstoß nennen, so wie andere eine Münze werfen. Im Artikel Sommerspaziergang bin ich bereits auf die Beweggründe eingegangen.

Ich lege dabei eine gewisse rituelle Ernsthaftigkeit an den Tag, denn Traditionen bedeuten mir viel, auch wenn es in diesem Fall nur eine vage Rekonstruktion längst vergangener Bräuche ist.

In der Regel erledige ich das zu Hause, dort habe ich meinen Ritualhammer, Kerzen und Met. Manchmal tue ich es außerhalb, da muss mein Hammeramulett ausreichen und ich habe, wenn überhaupt, höchstens eine Flasche Bier. Ich beschreibe hier den ungefähren Ablauf des Rituals, Änderungen ergeben sich aus der Situation.

Weihe:

  • (Runen und Loshölzer vorbereiten, Kerzen entzünden, Hammer ergreifen und heben)
  • “Heil sei dir, Donar, Schirmer Midgards! Weihe diese Stätte und wehre allem Übel!”
  • (Hammer über Getränk und Gefäß halten)
  • “Weihe diese[n|s] [Getränk] und diese[n|s] [Gefäß]!”
  • (Hammer über Runen und Loshölzer halten)
  • “Weihe diese Runen und Loshölzer!”
  • (Ritualgetränk eingießen)

Ritual:

  • (Gefäß erheben)
  • “Heil sei dir, Frija, Zukunftswissende und Spinnerin des Schicksalsfadens! Verleihe mir die Gabe, aus der Kraft und Weisheit der Runen und Loshölzer eine Richtschnur für mein Handeln im folgenden [Monatsname] zu gewinnen!”
  • “Heil sei euch, ihr Nornen, die ihr unermüdlich das Wurd flechtet und allen Menschen ihr Schicksal bestimmt. Gewährt mir einen Blick auf den für mich bestimmten Abschnitt.”
  • “Heil sei dir, Wurd, Norne des Vergangenen! Ich bitte dich um deinen Teil des Loses!”
  • (Ein Schluck aus dem Glas, eine Rune ziehen und drei Hölzer werfen)
  • “Heil sei dir, Werdandi, Norne des Werdenden! Ich bitte dich um deinen Teil des Loses!”
  • (Ein Schluck aus dem Glas, eine Rune ziehen und drei Hölzer werfen)
  • “Heil sei dir, Skuld, Norne des Künftigen! Ich bitte dich um deinen Teil des Loses!”
  • (Ein Schluck aus dem Glas, eine Rune ziehen und drei Hölzer werfen)
  • “Heil sei dir, Wotan, gewaltiger Gott der Weisheit und Ekstase, Herr über das Leben und Herr über den Tod! Schenke mir Einsicht und Klarheit des Gedankens, auf dass ich das Geheimnis des Loses richtig deute.”
  • (Rest des Getränkes auf den Boden gießen)

Abschluß:

  • “Ich danke den Göttern und Nornen für den Ausblick auf mein Leben! Ich werde meine Schlüsse ziehen und es nach euerm Plan gestalten.”
  • “Ich danke dem Donnerer für seinen Schutz!”
  • (Loshölzer und Runen fotografieren, das Ritual ist beendet)

Auslegung:

Zum Deuten des Runenloses habe ich im Artikel Vom Auslegen eines Runenorakels einiges geschrieben. Zuweilen bringt die Zeitfolge Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Klarheit, das nächste Mal ist es vielleicht ein einfacher Zusammenhang der Bedeutungen oder gar eine zusammengesetzte Vokabel. Selten liegt die Bedeutung klar auf der Hand. Manchmal kann ich sie bestenfalls vage vermuten. Und es gibt auch Fälle, wo sich die Bedeutung erst viel später offenbart.

Zum Beispiel im vergangenen Neblung, als ich unvermittels Jera, Perthro, Dagaz zog und damit absolut nichts anfangen konnte. Ernte oder Jahr, Schicksal oder Geburt, Tag oder Zeitpunkt. Was in aller Welt konnte das bedeuten? Ich war ratlos und habe den gesamten Mondzyklus gegrübelt, ohne Ergebnis. Fast zwei Monde später, während der Rauhnächte, offenbarte mir mein Sohn die Schwangerschaft seiner Gefährtin. Natürlich, über’s Jahr ist Geburtstermin, und erfahren habe ich es etwa zur gleichen Zeit wie das junge Paar.

Die Loshölzer erfordern meist mehr Phantasie und ich muss gestehen, dass sie mir oft Rätsel aufgeben. Ich bin ja keine weise Frau – weder das eine, noch das andere. Ich versuche, Bilder zu erkennen. Oder es ergeben sich Runen. Pfade die sich kreuzen oder trennen. Ein Haus. Einmal gar ein Bahnübergang. Oftmals scheinbar komplettes Wirrwarr. An dieser Stelle habe ich viel Potenzial zur Verbesserung.

© Siebenschläfer

Die Ruhe vor dem Sturm

Der Winter ist in diesem Jahr praktisch ausgefallen. Schnee gab es nur an zwei, drei Tagen, wenn man den weißen Modder, der nach wenigen Stunden wieder getaut ist, überhaupt so bezeichnen kann. Auch Minusgrade waren Mangelware, vom frühen Morgen einmal abgesehen. Wenn nichts mehr nachkommt, wird es im Sommer eine Mückenplage geben.

Obwohl der Lenzing noch nicht einmal seine Mitte erreicht hat, hatten wir bereits das erste geradezu frühsommerliche Wochenende. Die Temperaturen bewegten sich nahe der zwanzig Grad und Sunna ließ ihr goldenes Licht von einem wolkenlosen Himmel erstrahlen.

Ostara lässt die Natur langsam erwachen. Die Frühblüher in den Gärten geben ihr bestes, doch im Laubwald und auf den Feldern ist noch wenig Grün zu sehen. Nur das Moos und immergrüne Pflanzen wie der Efeu liefern einige Farbtupfer. Wer besonderes Glück hat, sieht auch einen Zitronenfalter am Wege gaukeln.

Grün im Lenzing

Freilich weiß der Allergiker, dass auch hier der Pollenflug längst begonnen hat. Und beim näheren Hinsehen erkennt man zarte Knospen als Vorboten. Die Natur liegt in den Startlöchern. In wenigen Wochen wird sie sich Bahn brechen.

Auch für uns Menschen geht die dunkle Zeit dem Ende zu. In weniger als zwei Wochen ist die Tag- und Nachtgleiche. An diesem warmen Wochenende strebt alles was Beine hat hinaus. In den Städten sind Parks, Wiesen und Auen dicht bevölkert. In den ländlichen Gebieten zieht es die Menschen auf Wanderwege und zu den Aussichtspunkten.

Aber warum ist das so? Warum zieht es viele Menschen jetzt hinaus in die Natur? Ist es das milde Wetter? Kaum, denn der gesamte Winter war mild. Oder sind es Frühlingsgefühle, wie ein junger Mann im Fernsehen die Frage des Reporters beantwortete? Wiederum nein, denn das verwechselt Ursache und Wirkung.

Die Antwort lautet, es ist das Licht. Es ist der strahlende Schein einer immer länger scheinenden und immer höher steigenden Sonne. Die Wiederkehr des Lichtes kurbelt die Hormonproduktion an, und die sorgt dann für die Frühlingsgefühle. Den ganzen Winter über funktionieren wir auf Sparflamme, wird unser Energieverbrauch gedrosselt. Diese Eigenschaft hat die Natur in Jahrmillionen ausgeprägt. Sie hat das Überleben unserer Spezies gesichert.

Aber jetzt erwacht die Natur zu neuem Leben. Und trotz aller Globalisierung und Vorratswirtschaft erwachen wir noch immer gemeinsam mit ihr.

© Siebenschläfer

Nachtrag einen Mond später: Im Handelsblatt gab es einen interessanten Artikel zu diesem Thema. Wer nachlesen möchte, nutze bitte diesen Link.